Angriffslustige Adler

Die Gegner der Deutschen in WM-Gruppe A: Polen. Das Team von Nationaltrainer Pawel Janas überzeugt vor allem im Spiel nach vorn – die Abwehr gilt hingegen als überaltert und äußerst anfällig

AUS WARSCHAU PAWEL SMUDA

Zumindest Polens Presse hegt an den Chancen der nationalen Hoffnungsträger beim Fußball-Gipfel im Nachbarland keine Zweifel. „In dieser Gruppe kommen wir weiter!“, jubelte der Nowy Dzień nach der WM-Auslosung. „Wir sind im Paradies gelandet,“ freute sich der Super Express über die „engelhafte Gruppe“ mit dem Gastgeber und den beiden Außenseitern Ecuador und Costa Rica. Schwache Mannschaften gebe es bei der WM keine, zollte Nationalcoach Paweł Janas der Konkurrenz eher pflichtschuldig Respekt: „Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass mich die Gegner schrecken.“

Noch nie konnte der WM-Dritte von 1974 und 1982 gegen ein bundesdeutsches Team gewinnen. Dennoch fiebern die „Weißen Adler“ der WM selbstbewusst entgegen. „Wenn wir so engagiert spielen wie in der Qualifikation, kommen wir weiter“, ist Spielmacher Mirosław Szymkowiak (Trabzonspor) überzeugt.

Einige Routiniers des missglückten WM-Ausflugs vor vier Jahren sind der Mannschaft erhalten geblieben. Doch ihr Spiel hat sich unter der Ägide von Janas radikal gewandelt. Zehrten Polens Kicker 2002 eher von kämpferischen Tugenden, hat sich die einstige Truppe der Raubeine zu einer angriffslustigen und mit 27 Qualifikationstoren recht torhungrigen Equipe gewandelt. Mit dem legendären Team der 70er-Jahre sei die Mannschaft nicht zu vergleichen, sagt Grzegorz Lato, Torschützenkönig der WM 1974: „Aber auch ohne Stars ist das Team ein gutes Kollektiv – und hat einen sehr guten Trainer.“

Dabei waren die Aussichten von Janas bei seinem Amtsantritt im Spätherbst 2002 keineswegs gut. Mit einer 0:1-Schlappe gegen Lettland hatten Polens völlig desolat auftretende Nationalkicker kurz zuvor frühzeitig ihre Chancen auf die EM-Teilnahme in Portugal verspielt. Für das erhoffte Qualifikationswunder kam der Trainerwechsel zu spät. Doch geduldig und beharrlich machte sich Janas daran, Polens oft an Minderwertigkeitskomplexen leidenden Spielern Selbstvertrauen, Spielfreude und Kampfgeist einzuflößen. „Dank Janas wissen wir, dass wir gegen jeden Gegner bestehen können“, lobt Kapitän Jacek Bak (32).

Tatsächlich ist den Polen unter Janas ein Erfolg geglückt, dem ihren deutschen WM-Konkurrenten schon lange vergeblich hinterher hecheln – ein Sieg gegen eine der großen Fußballnationen. Der 3:1-Triumph im Freundschaftsspiel gegen Italien sollte im November 2003 nicht nur das Selbstbewusstsein von Polens Nationalkickern stärken, sondern sicherte ihren Trainer trotz der verpassten EM-Qualifikation den Job. „Wir fahren zur WM nach Deutschland“, kündigte Janas im Sommer 2004 entschlossen an: „Ich bin ein Ehrenmann: Falls wir in der Qualifikation enttäuschende Ergebnisse erzielen, trete ich sofort zurück.“

Der frühzeitige Abtritt blieb dem Hobbyjäger erspart. Bis auf die beiden 1:2-Niederlagen gegen Gruppensieger England gewannen die Polen alle Qualifikationsspiele. Nicht immer waren die Auftritte souverän, vor allem in der Defensive offenbarten sich unübersehbare Schwächen. Doch dank Moral und Kampfgeist behauptete sich das mit einem Durchschnittsalter von 28,5 Jahren eher routinierte Team auch in scheinbar aussichtslosen Situationen. „Vielleicht spielen wir einen technisch schwächeren Fußball“, räumt Kettenraucher Janas ein: „Doch wenn wir mit Herz spielen, können wir durchaus Erfolge erzielen.“

Als größte Schwäche von Polens Fußball gilt die ausgeblutete „Ekstraklasa“. Niveauarme Spiele, baufällige Stadien, Korruptionsskandale und Hooligan-Ausschreitungen prägen den tristen Ligaalltag. In dieser Saison verabschiedeten sich alle polnischen Mannschaften bereits im September sang- und klanglos aus dem Europacup. Die karge Finanzkraft der schlecht geführten Clubs erklärt auch den ständigen Aderlass der heimischen Kicker: Die meisten seiner Schützlinge muss Nationalcoach Janas inzwischen im Ausland beobachten.

Der Kern der Mannschaft setzt sich aus früheren Spielern von Meister Wisła Krakau zusammen. Hatte vor vier Jahren der eingebürgerte Nigerianer Emmanuel Olisadebe (Portsmouth) die Polen fast im Alleingang zur WM geschossen, verfügt Janas im Angriff nun über mehr Alternativen. Je sieben Treffer erzielten in der Qualifikation Tomasz Frankowski (Wolverhampton) und Maciej Žurawski (Celtic Glasgow), der derzeit als der wohl beste polnische Feldspieler gilt. Southampton-Stürmer Grzegorz Rasiak sitzt bei seinem Club oft nicht einmal mehr auf der Bank, auch Andrzej Niedzielan (NEC Nijmwegen) hat bereits stärkere Zeiten erlebt: Für die WM hat Janas darum den verletzungsanfälligen Olisadebe trotz einer fast zweijährigen Länderspielpause noch keineswegs abgeschrieben.

Antreiber im Mittelfeld ist der bei Leverkusen aufs Abstellgleis geratene Jacek Krzynówek. Die Fäden zieht an seiner Seite Szymkowiak. Nach hinten sichert Radosław Sobolewski (Wisła) ab. Auf den Flanken ist mit Euzebiusz Smolarek (Dortmund), Sebastian Mila (Austria Wien) oder Kamil Kosowski (Southampton) steter Vorwärtsdrang garantiert. Im Tor muss der bei Liverpool auf die Tribüne verbannte Jerzy Dudek um seine WM-Fahrkarte bangen: Mit Artur Boruc (Celtic), Tomasz Kuszczak (West Bromwich Albion) und Wojciech Kowalewski (Spartak Moskau) gibt es hochklassige Alternativen.

Der Schwachpunkt der Elf ist indes die Abwehr. In der Innenverteidigung haben die 32-jährigen Veteranen Tomasz Klos (Wisła) und Bak (Katar) ihre besten Zeiten längst hinter sich. Zudem kommen die Außenverteidiger Žewłakow (Anderlecht) und Rzasa (Ado Den Haag) bei ihren Clubs kaum zum Einsatz. Vielleicht dränge sich im Frühjahr noch ein junger Verteidiger auf, hofft Janas, der um den Mangel an möglichen Nachfolgern für seine in die Jahre gekommene Abwehrriege weiß: „Eine große Auswahl habe ich nicht.“